Ich habe ein Gedicht geschrieben

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13 März 2013 22:49 #12634 von SammyJo
Ich habe ein Gedicht geschrieben wurde erstellt von SammyJo
Hallo, Ihr Lieben!
Ich habe ein Gedicht geschrieben und ich glaube, das hier ist dafür die richtige Rubrik. Seit fünf Jahren arbeite ich in einem Pflegeheim und habe dort zu drei viertel Demenzkranke z
zu behandeln und zu betreuen. Kürzlich habe ich ein Erlebnis mit einem Angehörigen gehabt, das mich zu tiefst erschüttert und entsetzt hat. Und dieses Entsetzen habe ich in Worte gefasst... Wer weiß, vielleicht hat der eine oder andere von Euch auch schon etwas Ähnliches erlebt.

Erledigt
"Für den hat es sich erledigt!"
So spricht ein Sohn über seinen Vater.
"Mit dem könnt Ihr jetzt machen, was Ihr wollt!"
So spricht ein Sohn über seinen Vater.
"Seine Magensonde hat der jetzt auch!"
So spricht ein Sohn über seinen Vater.
"Der wird jetzt angeschnallt!"
So spricht ein Sohn über seinen Vater.
"Ich dachte, das geht mich nichts mehr an!"
So spricht ein Sohn über seinen Vater.
"Aber als Betreuer muss es mich was angehen!"
So spricht ein Sohn von seinem Vater.
"Im Kopf hat der nur noch Knäckebrot!"
So spricht ein Sohn von seinem Vater.
Du sollst Vater und Mutter ehren?
Von ehren hier keine Spur,
einzig Verachtung nur.
Der alte Mann schreit und fragt:
"Ihr seid doch aber lieb zu mir?"
Ich frage mich, wo sind wir hier?
Was ist ihm gescheh`n bisher?
Keine Antwort, er weiß nichts mehr.
Hat jemand ihn geschlagen?
Niemanden kann ich fragen.
Schwiegertochter vergießt Tränen,
Sohn sollte sich  schämen.
Wir sollen würdig pflegen,
unsere Alten umsorgen und pflegen,
wir werden beschimpft, sind unterbezahlt.
Gott sei Dank - auch der Sohn wird mal alt.

Das musste ich unbedingt mal loswerden... Freue mich über Reaktionen.
Liebe Grüße, SammyJo

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14 März 2013 06:46 #12635 von Sophia65
Sophia65 antwortete auf Ich habe ein Gedicht geschrieben
Guten Morgen Sammy- Jo,

ich kann gut verstehen, dass dich die Reaktionen des Sohnes erschüttert haben.
Was du/ wir nicht wissen ist, wie das Verhältnis Vater - Sohn früher war.
Ich lernte mal eine sehr nette, alte Dame kennen, ihre Tochter wohnte in der Nähe und kam nie. Sie organisierte alles für ihre Mutte über Telefon und Leitung. Grund: Mißhandlung in der Kindheit.
Vor geraumer Zeit erzählte mir ein Sohn aus dem Leben, seiner Kindheit und wie sein Vater früher so drauf war. Er besucht seinen Vater aus Pflichtgefühl, aber mehr auch nicht.
Manchmal steckt eine lange und unschöne Geschichte dahinter. Kann sein, dass der Sohn, den du beschreibst, nun seine Ohnmachtsgefühle aus der Kindheit auslebt....
Kann sein, dass der Sohn so krass reagiert, weil er überfordert ist? Kann aber auch sein, dass der Sohn einfach selbst gefühlskalt ist. Wer weiß das schon?
Vielleicht können meine Gedanken dein Entsetzen mildern  :)

Wir lernen die Menschen erst kennen, wenn sie alt und zumeist auch sehr eingeschänkt sind. In ihrer aktiven Arbeits- und Familienphase kennen wir sie nicht. Wir treten ihnen wohlwollend  und unvoreingenommen gegenüber und das ist auch gut so.
Grüße von Sophia

ps ich finde es gut, dass du deine Gedanken und Gefühle so ausdrücken kannst. Das gefällt mir!

Glück ist nicht in einem ewig lachenden Himmel zu suchen, sondern in ganz feinen Kleinigkeiten, aus denen wir unser Leben zurechtzimmern.
Carmen Sylva,Schriftstellerin

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14 März 2013 09:15 #12636 von talie
talie antwortete auf Ich habe ein Gedicht geschrieben
Guten Morgen Sammy Jo,
ich möchte Dir auf einer anderen Ebene antworten, nicht aus der fachlichen die ich auch so wie sophia 65 dargestellt hat vertrete, sondern ich möchte Dir schreiben, was ich aus deinem Gedicht gelesen habe.
Ein Kompliment an Dich, so ein Gedicht erfordert ganz viel Mut, Mut zu seinen eigenen Gefühlen zu stehen, die wir ja immer ein Stück in unserer Professionalität zurückstauen müssen. Sie dann auch noch zu Papier zu bringen, ist wie ein Sprung in ein Wechselbad von Gefühlen, in einer Ambivalenz zu schwimmen, zwischen dem Dasein seiner beruflichen Position und eigenen Inneren Haltung, dann mit all Seinen Sinnen nicht nur Freude sondern auch die andere Seite der Medaille, die  schmerzlichen Verletzungen die Menschen im Umgang miteinander sich zufügen können, wahrzunehmen. Solche Momente wie Du erfasst hast, sind sehr kostbar, weil man dann das Bedürfnis hat, sich ein Stück zu sortieren, so wie Du in deinen Zeilen, um das Leben mit all seinen Facetten, die wir selber an eigenem Leibe täglich erleben, ein Deal/ein Kompromis ein zu gehen.
In der heute schnell lebigen Zeit, in der das Funktionieren in Gesellschaft immer mehr ein zuhause findet, da stoßen Menschen wie Du sie in Deinem Gedicht beschrieben hast an ihre persönlichen Grenzen und Hilflosigkeit. Seinen Blick , in solchen Situationen auf das zu richten, was im Leben vielleicht auf der Strecke geblieben ist, Worte die nie ausgesprochen wurden, vielleicht auch verletzende Worte die nicht mehr zurück geholt werden können, lassen Menschen zueinander mit einer Wand dazwischen stehen. Eine Ohnmacht die auf beiden Seiten bestehen können, weil der eine ( z.b der Sohn) erkennt wie schnell das heutige Leben rast und  man irgendwo mit seinen Gefühlen auf der Strecke geblieben ist und der andere ( z.b. der Vater) stehen geblieben ist mit den Gefühlen nicht mehr von dieser Welt zu sein.
Warum ich das schreibe?  Weil ich es schön findet das es Menschen gibt wie Du, die mit ihrer Sensibilität ( auch wenn wie schon erwähnt sie ein Stück in unserer professionalität zurückgestaucht werden musst ) ein Brückenschlag sein können , das nicht alles im Zuhause des Funktionierenden untergeht.
LG

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