Ablauf der Therapiestunde? Dringend Hilfe gesucht!

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14 Mai 2007 16:24 #626 von Julie81
Hallo!
Ich bin in der Ausbildung zur Ergotherapeutin. Ich soll nun eine Therapiestunde planen in der ein Kuchen gebacken wird (ich dachte an einen einfachen Selterswasserkuchen?).
Nur leider haben wir in unserer Klasse nicht wirklich Ahnung über den Ablauf einer Therapieeinheit. Wie lang ist das und was muss alles gemacht werden?? Hatten bisher nur Vorträge über die einzelnen Aktivierungsbereiche... wo auch viel mit Singen und Musik gemacht wird. Wie läuft denn eine Stunde ab in der man eigentlich ein Ziel hat (zb. das Backen)??

Bin über jeden Beitrag sehr dankbar

LG Julie

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14 Mai 2007 17:41 - 14 Mai 2007 17:45 #627 von Anonymous
Hallo Julie81!

Um eines vorweg zu sagen: nicht das Backen selbst ist das Ziel, sondern das Backen ist nur Mittel zum Zweck, mit dem sich viele andere Ziele erreichen lassen, z.B.:

• Sich einer Aufgabenstellung zuwenden können (körperlich und geistig
  aktiver werden)
•  Sich vom Heimalltag und Krankheitsgeschehen ablenken können
•  Inhalte des Langzeitgedächtnisses abrufen (Was wird an Zutaten für
    diesen Kuchen benötigt? Wann wurde früher gebacken? Wo kommt das
    Mehl her ?...)
•  Handlungen strukturiert planen und durchführen (Womit beginne ich? Wie
  geht es weiter? etc.)
•  Selbstwertgefühl verbessern
•  Soziale Kontakte zu anderen Bewohnern herstellen
•  Erhalt der Beweglichkeit durch das Rühren und Kneten des Teiges
•  Schulung der Sinneswahrnehmung (durch die Zutaten)
•  Gespräche anregen (Wie oft hat man früher Kuchen gebacken? Zu
  welchen Anlässen? Usw.)

Ich kann mir unter "Selterswasserkuchen" nicht viel vorstellen, kann dir aber soviel sagen, dass man möglichst Kuchen backen sollte, die die Teilnehmer von früher her kennen, da sonst die  Teilnehmer kaum auf  ihren Erfahrungsschatz zurückgreifen können. Geeignet wären da beispielsweise einfache Rührkuchen mit und ohne Obst, mit denen sie Langzeitgedächtnis-
inhalte und automatisierte Bewegungsabläufe reaktivieren können.

Wie viel Zeit du veranschlagen musst hängt davon ab, ob du allein bist oder Unterstützung hast, wie viele Bewohner mithelfen, ob Wartezeiten überbrückt werden müssen (z.B. Kochen des Tortengusses) und ob die Teilnehmer in die Vor- und Nachbereitung mit einbezogen werden.
Nur um einen Vergleich zu haben: Für das Backen während einer Sichtstunde- die in unserer Einrichtung 45 Minuten dauert – ist die Zeit viel zu knapp, eher benötigt man die doppelte bis sogar dreifache Zeit, da die Teilnehmer ja so viel wie möglich selbst machen sollen.

Damit das ganze auch „ergotherapeutischen Charakter“ hat, gehören Wahrnehmungsübungen, einfache Gedächtnistrainingsübungen und Biografisches Arbeiten mit dazu.

Wichtig in der Vorüberlegung:

Termin festlegen
in den Vormittagsstunden befinden sich die meisten Bewohner auf dem „biologischen Hoch“ und sind somit leistungsfähiger

Küchenpersonal über das Vorhaben informieren
damit diese die benötigten Zutaten termingerecht besorgen können, falls man nicht selbst (evtl. mit Bewohnern) einkaufen geht und dementsprechend weniger Kuchen für den Tag besorgt wird

Arbeitsplatz vorbereiten:
Alle benötigten Utensilien, Schürzen, Zutaten und kopierte Rezepte (in Großschrift!) bereitlegen

Möglichkeit zum Händewaschen bieten
evtl. Waschschüssel (für Rollstuhlfahrer), Waschlappen sowie Handtücher bereitlegen

Bewohner informieren
hierbei Kontraindikationen beachten, so ist z.B.  Vibration (Handmixer!)  kontraindiziert bei Gelenkserkrankungen!

Bewohner holen
Toilettengang vorher, Hände waschen, auf das Tragen benötigter Hilfsmittel achten, auf Terminüberschneidungen achten, Tagesverfassung beachten oder erfragen

Zubereitung des Teiges
dabei den Bewohner so viel es geht selbst machen lassen:

-  Situative Orientierung:
  Was machen wir jetzt?

- Brainstorming zur Reaktivierung von Langzeitgedächtnisinhalten:
  Was benötigt man alles zum Kuchenbacken? Fällt Ihnen ein passendes 
  Lied dazu ein? (Backe backe Kuchen)

- Betrachten der mitgebrachten Zutaten und Utensilien zum Erhalt der
  Wortfindung und der Formulierungsfähigkeit durch biografisches Arbeiten:
  Was ist das? Wozu benötigt man es? Haben Sie früher auch so einen 
  Mixer gehabt?

-  Wahrnehmungsübungen zum Erhalt der Wahrnehmungsfähigkeit:
  Was ist in dieser Tüte? Wie fühlt es sich an? Wonach  riecht diese
  Backzutat? usw.

-  Erhalt der Handlungsplanung:
  Womit muss angefangen werden? Wie geht es weiter?

-  Zutaten abwiegen und verrühren, evtl. mit Schneebesen zum Erhalt der
  Motorik

Usw.

Zum Schluss:

-  Gemeinsames Aufräumen und saubermachen (bei mir waschen die
  Teilnehmer mit ab)
-  Stundenverlauf noch mal kurz zusammenfassen
-  Positives Feedback an die Teilnehmer
-  Situative Orientierung: Wie geht es jetzt weiter? (mit dem Kuchen, den
  Teilnehmer, im Tagesablauf)
-  Verabschiedung, evtl. mit einem Abschlusslied

Schön ist es, wenn mit den Bewohnern dann gemeinsam der Kuchen verzehrt wird.

Viel Spaß beim Backen...ist wirklich ´ne tolle Sache!

Liebe Grüße
Cassio

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14 Mai 2007 17:57 #628 von Julie81
Dankesehr!!!  :)
Hab mich riesig über deine Antwort gefreut. Hilft mir schon mal weiter...
Es ist so, daß wir über Patienten nichts wissen und es auch keinerlei Vorgaben gibt. Wir müssen halt eine ganze Woche planen und ich habe das mit dem Backen erwischt. Aber es war bis jetzt so: wir haben auch die Aufgaben mit unseren fiktiven Patienten den Flur zu gestalten... aber nichts war der Ausbilderin recht genung für die Geriatrie... alles nur für Kinder war ihre Sandartantwort... oder : überlegt doch mal, da habt ihr evtl. einen Patienten dabei der Dement ist... da geht das was ihr vor habt gar nicht ... wir haben aber weder einblicke in Krankheitsbilder allgemein weder wissen wir etwas über die praktischen Anwendungsbereiche mit ihrem Nutzen... es ist halt alles ziemlich offen gestaltet bei uns in der Schule. Habe das Gefühl wir sollen lernen von unseren Fehlern, erst dann sagt man uns das es falsch ist. Ich will nicht jammern  ;)
Ich danke dir für deine Hilfe! Sind echt gute Tipps... Nur eine Frage noch... der Ablauf ist so wie einer Aktivierung?
Also Begrüßung... orientierung... gemeinsame Lieder und Brainstorming ... Thema ... Teepause... Liede und Musik... Feedback... Verabschiedung...  im groben??


LG

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16 Mai 2007 19:35 - 16 Mai 2007 19:38 #631 von Anonymous
Hallo Julie,

ist nicht alles, was wir einem Bewohner anbieten (ob dement oder nicht) eine Aktivierung?

Dein grober Ablaufplan ist völlig okay...
Wie du die Gruppenstunde  im Endeffekt handhabst, ist natürlich deine Sache; ich kann dir nur sagen, dass beim Weglassen der beschriebenen Elemente die ganze Aktion wenig "ergotherapeutischen Charakter" hat.
Denn anderenfalls könnte auch eine x-beliebige Hausfrau mit dementiell erkrankten Personen Kuchen backen, oder? ;-)

Liebe Grüße und einen schönen Feiertag morgen wünscht
Cassio

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