Akzeptanz der Krankheit

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14 Nov. 2012 08:02 #12314 von Line Ludovici
Akzeptanz der Krankheit wurde erstellt von Line Ludovici
Hallo zusammen
Ich hab heut mal eine Frage, die sich vielleicht nicht so einfach beantworten lässt ...
Im Moment hab ich ganz schön damit zu kämpfen, zu akzeptieren, dass es bei Menschen mit Demenz nicht voran geht, man keine Fortschritte erzielt und die Menschen auch irgendwann sterben. Kriegt ihr das unter einen Hut, wie schafft ihr das therapeutisch? Wäre schön, was von euch zu hören ... auch wenn das jeder unterschiedlich handhabt und für die einen es vielleicht gar kein Problem ist.

Einen schönen Tag und liebe Grüsse
Line*

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17 Nov. 2012 08:54 #12317 von bell
bell antwortete auf Akzeptanz der Krankheit
Guten Morgen Line,

ich habe vor vielen Jahren, zu Beginn meiner Berufstätigkeit, schon mal im Altenheim gearbeitet, da hat mich das Thema Sterben mehr gestresst wie jetzt. Ich wollte wechseln, eben weil sich so wenig verändert. Inzwischen habe ich in Praxen, mit Kindern und in der Psychiatrie gearbeite. Nun bin ich seit Mai wieder in einem Seniorenzentrum.
Ich bemühe mich, im "jetzt" zu sein. Bei Dementen ist es so unterschiedlich, jeder Tag ist anders. Und wir haben sehr viele schwer Demente Bewohner.
Der Abbau schreitet so rasant vorwärts, das ist unglaublich. Aber letztlich macht es für mich keinen Unterschied, welche Diagnose dahintersteht, ich bemühe mich, die Bewohner da abzuholen, wo sie sind. Meine therapeutische Erwartungshaltung-wenn man das so nennen kann, hat sich verändert.
Und ich begleite das Sterben, wenn notwendig oder gewünscht, habe viele Gespräche mit Angehörigen, setze mich mit Hospitzarbeit auseinender.
Ganz wichtig ist für mich persönlich den Bew. mit ganz viel Ruhe zu begegnen. Ich übe das validieren, das finde ich klasse, bes. bei den unruhigen Bew. kann man so sehr schnell und gut Ruhe reinbringen. Letztendlich geht es doch immer um Gefühle....
Hilft dir das weiter?

lg
bell

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18 Nov. 2012 13:59 #12322 von senioras
senioras antwortete auf Akzeptanz der Krankheit
Hallo Line!
Als ich während der ET-Ausbildung mein Praktikum in der Geriatrie gemacht habe, habe ich viel geweint - so belastet hat mich die ganze Atmosphäre und die Sterberei dort.
Das ist nun 23 Jahre her und ich habe nach einiger Zeit ind er Pädiatrie in meinem Wunschbereich der Psychiatrie gearbeitet und bin immer noch dort beschäftigt. Ich arbeite mit chronisch psychisch Kranken, also mit Menschen, die es auch schwer haben mit der Akzeptanz ihrer Erkrankung und ihres Schicksals. Eine Heilung ist nicht möglich. Therapie im strengen Sinn mache ich nicht; es geht dort viel um Aushalten, zusammen mit den Betroffenen.
Dann habe ich einen Vorbereitungskurs zur Lebens- und Sterbebegleiterin in der palliativen Geriatrie gemacht und mich intensiv mit dem Thema Sterben und Tod, mit Demenz und Pflegebedürftigkeit auseinandergesetzt. Mit großem Gewinn für mich persönlich. Die Lebenshaltung, die man dabei lernt, ist nicht nur beruflich hilfreich. Validation, Biographiearbeit - das sind Themen, die eine Weltanschauung vermitteln, die auch im Umgang mit gesunden Menschen hilfreich sein können. Man lernt eine größere Gelassenheit und kann sich von ungesunden Erwartungen befreien. Man muss nichts mehr erreichen - keine Ziele, keine Verbesserung. Man darf den Menschen dort abholen, wo er ist. Man hat, wenn man Glück hat, die Möglichkeit, den Menschen zu begegnen, auf sehr persönlicher und emotionaler Ebene. Die Emotionalität bleibt ja bei Demenzen erhalten und wenn die sprachliche Verständigung nicht mehr funktioniert, gibt es andere Möglichkeiten, in Kontakt zu treten: das Singen oder Summen von Melodien, die vielleicht aufgegriffen werden, das gemeinsame Atmen, die Berührung...
Mir macht die Arbeit mit alten Menschen und Demenzkranken Freude. Jetzt. Mit 54 Jahren. Jetzt ist es genau richtig für mich. Wobei ich das nur nebenberuflich mache, einzelnd oder in Gruppen.
Ich habe keine Lust mehr, mit Kindern zu arbeiten, wo die Verantwortung mir größer erscheint, weil sie noch ihre ganzes Leben meistern müssen und im sozialen Umfeld mit entsprechenden Erwartungen eingebunden sind.
Ich finde es mittlerweile ein sehr gutes Arbeitsfeld.
Der Sterberei entgeht man auch nicht wirklich: Eine sehr gute Ergotherapeutin, von der ich sehr viel gelernt habe, berichtete von ihrem Weg ins Seniorenwohnheim: Sie arbeitete auf der Kinderstation einen Krankenhauses und erlebte hautnah, wie dort ein Säugling starb........Da sie dies nicht aushielt, fand sie ihren Platz in der Geriatrie.
Ich hoffe, dass ich dir mit diesen Schilderungen etwas geholfen habe. Mein Rat wäre zu gucken, was du möchtest. Vielleicht ist es wirklich nicht die Geriatrie oder
keine geriatrische Einrichtung. Das kannst nur du wissen.
Aber wenn es die alten Menschen sind, mit denen du arbeiten möchtest, kannst du persönlich lernen, einen Umgang mit den Problemen der Verschlechterung von Zuständen und Verläufen und dem Sterben, dem Tod zu finden. Validation, Biographiearbeit und Basale Stimulation sind hilfreiche Stichworte. Man muss sich nicht hilflos fühlen. Man kann viel machen - auch wenn es nach außen nicht unbedingt sichtbar ist. Man kann den Menschen begegnen und sie begleiten.
Ich wünsche dir für deinen beruflichen und vor allem persönlichen Weg Geduld und Mut!
senioras

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20 Nov. 2012 21:32 #12329 von Line Ludovici
Line Ludovici antwortete auf Akzeptanz der Krankheit
WOW ...

Vielen Dank Bell und Senioras für die sehr ausführlichen und mutmachenden, einfühlsamen Berichte. Damit hätte ich nicht gerechnet!!
Da ich als Ergo allein im Haus bin, fehlt mir sicher auch der therapeutische Austausch, aber eben auch auf der Gefühlsebene ... so bin ich froh um eure Antworten, die mir gezeigt haben, wie ihr damit umgeht- danke !!
Ich bin wohl im Moment auf der Suche nach meinem Weg und es ist sicher Teil des Prozesses, habe ich doch auch einige Jahre in der Pädiatrie gearbeitet- wo Fortschritte so sichtbar sind. Nun genau das Gegenteil fällt manchmal schwer, aber wie ihr schon sagt, ist es oft auch die Beziehung zum Menschen, der Kontakt, das Da-Sein. So wie für die Demenz-Erkrankten jeder Tag anders und neu ist, so ist er das auch für mich. Spannend und herausfordernd.
Ich nehm eure Worte gern mit und schau, was gut für mich ist ...

Einen schönen Abend,
Line*

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17 Dez. 2012 12:33 #12401 von sternchen6911
sternchen6911 antwortete auf Akzeptanz der Krankheit
Hallo Line,

ich arbeite schon seit vielen Jahren in einem Seniorenheim und mich macht meine Arbeit sehr glücklich. Das Sterben ist ein Prozess der einfach zu jedem Leben gehört und ich muss sagen, ich bin immer froh und dankbar, wenn einer meiner Bewohner von der Welt gehen kann und vorher nicht lange im Bett liegen musste - also er in Würde sterben konnte. Mein Ziel war und ist es immer: Auch die Wartezeit auf dem Bahnhof Endstation kann man schön gestalten, indem man dem Bewohner einfach signalisiert: Ich hab dich lieb, so wie du bist und ich möchte das du glücklich bist in deinen letzten Tagen. Die Bewohner spüren das auch. Schlimm finde ich es dagegen, wenn ein Bewohner über das Ende redet oder man merkt, dass es nahe ist und dann immer noch davon spricht: Na das wird schon wieder! Da fühlen sich die Menschen dann schon veralbert und nicht ernst genommen. Ich weiß, einfach ist es nicht, sich darauf einzulassen - aber es ist es wert!

lg tini

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