Paro

Mit großen, dunklen Augen und herzzerreißendem Quieken aktiviert der als Baby-Robbe daherkommende Roboter Paro Demenzkranke. Kann und soll er menschliche Zuwendung ersetzen? Vor welche ethischen Konflikte stellen uns Roboter in der Pflege? Diesen Fragen spürt Annette Wagners Film nach.

Aus Paro wird Ole

Paro hat den weiten Weg aus dem japanischen Forschungslabor AIST hinter sich, als er im Bremer Haus O’land zum viermonatigen Dienst auf Probe antritt. Den haben vorher die Angehörigen der Bewohner diskutiert und beschlossen. Neugier und Hoffnung siegten über die verhaltene Skepsis, elementare Ablehnung äußerte niemand. Also darf der kurzerhand Ole genannte Roboter loslegen.

Ein Roboter baut Brücken zwischen Menschen

Mit Spannung erwarten die zuvor geschulten Pflegekräfte den ersten Einsatz. Manch Bewohner steht dem fiependen Heuler etwas ratlos gegenüber, andere lachen verblüfft und lassen sich dann langsam auf den neuen Kameraden ein. Als solchen erlebt ihn der Bewohner Harry Wittke, der einst zur See fuhr und etwas wie einen engen Kameraden besonders vermisst. Wittkes Freude und dann Sehnsucht rühren auch die Pflegekraft Anke Hartung zu Tränen. Plötzlich vertauschen sich die Rollen und Harry Wittke tröstet sie. Diese Wendung zeigt, wie wichtig es für Demenzkranke ist, zu geben und zu sorgen, statt nur noch zu nehmen. Auch hierfür sei der nach Zuwendung heischende Roboter ideal, da er jede zärtliche Behandlung mit freudigen Gesten und Lauten erwidert. Es sind diese Momente, wenn die Aktivierung gelingt, in denen der Film besonders berührt. Ole stößt selbst zu völlig in sich gekehrten Bewohnern regelrecht neue Fenster auf - manchmal entgegen aller aufgegebenen Hoffnung.

Hinter den Kulissen

Pflege- und Betreuungskräfte begutachten Paros Innenleben

Ein Blick in die Entwicklung und Produktion der Maschine zeigt, dass seine Äußerungen auf relativ einfache Reiz-Reaktions-Programme zurückgehen, wobei ein Zufallsgenerator eine Prise Unvorhersehbarkeit hervorbringt und damit den  Anschein der Subjektivität erweckt. Durch einen Datenspeicher kann sich Paro merken, wie ihn bestimmte Menschen zuletzt behandelt haben und begrüßt sie beim nächsten Mal entweder freudig oder reserviert. Schwieriger als die Software-Entwicklung war die Konstruktion eines robusten und dennoch angenehmen Korpus, so Entwickler Dr. Takanori Shibata. Dass sei besonders dank des kuscheligen Fells gut gelungen, da es Demenzkranke beruhigt, erklärt Lone Gaedt vom Danish Technological Institute.

Unwiderstehliche Maschine

Vertreter der Sozial- und Geisteswissenschaften stellen Paro ein gutes Zeugnis aus. So möchte die Sozialwissenschaftlerin Prof. Barbara Klein von der Fachhochschule Frankfurt gegen irrationale Ängste vorgehen. Sie erklärt mit der Emotionalen Robotik, warum Menschen sich der offenbar maschinellen Niedlichkeit kaum widersetzen können. Das bestätigt auch der Theologe und Pflege-Ethiker Dr. Christopher Scholtz, der bereits einen Selbstversuch hinter sich hat: Er lebte mit dem Hund Aibo zusammen.

Ist Paro für Demenzkranke real?

Dr. Christopher ScholtzDr. Christopher ScholtzEiner der ethischen Konflikte im Einsatz sogenannter subjektsimulierender Roboter bei Demenzkranken entspringt der Frage, ob ihnen Echtheit vorgegaukelt wird und ob man das dürfe. Scholtz argumentiert, dass die Illusion einer echten Robbe gar nicht erst aufkommen soll. Sonst glaubt der Patient, er muss das Tier auch versorgen. Diese Verpflichtung würde ihn nur übermäßig belasten. Auch Lone Gaedt plädiert einerseits dafür, keine Echtheit vorzutäuschen. Andererseits brauche man nicht ständig zu erzählen, dass Paro nur ein Roboter ist. Schließlich würde auch niemand Demenzkranke ständig desillusionieren durch permanente Hinweise etwa auf verstorbene Ehegatten. Christoper Scholtz glaubt jedoch nicht, dass Demenzkranke diesen Modus des zweifachen Bewusstseins anwenden, sie also Paro zugleich als Lebewesen und doch als Maschine wahrnehmen. Ob Illusion oder nicht, ob somit moralisch unbedenklich oder verwerflich – das bleibt hier in der Schwebe.

Probezeit bestanden

Bewohnerin und Pflegefachtkraft mit Paro

Im Haus O’land kommt man nach vier Monaten Erprobung aber zu einem klaren Ergebnis: Ole darf bleiben. Er hat oft geholfen, Brücken zu bauen zwischen Bewohnern und ihren Angehörigen oder Betreuenden. Auch Ruth Kurz, die Ergotherapeutin des Hauses, darf bleiben. Für sie ist Paro kein Konkurrent, im Gegenteil: Ohne geschultes Begleitpersonal kann die Robbe gar nicht eingesetzt werden. Den Pflegekräften fehlt hierfür im Alltag aber die Zeit.

Einschalten!

Die Filmemacherin und Journalistin Annette Wagner lässt alle Beteiligten zu Wort kommen. Sie nimmt sich Zeit zur Beobachtung und zur Vorstellung der verschiedenen Perspektiven und Positionen. Interessant sind die wiederkehrenden Blicke über den Tellerrand, insbesondere nach Frankreich zu den Assistenzrobotern. Den größten emotionalen Sog erzeugen aber die Bilder aus dem Haus O’land in Bremen, wenn Paro die teils völlig abwesenden Bewohner aus der Reserve lockt, zum Lachen, Weinen und Reden bringt und so wieder Zugänge öffnet für Angehörige und Betreuende.

Kuscheln mit ParoManchmal kommt der Eindruck auf, der Film argumentiert nicht ergebnisoffen. Zwar überhebt er sich nicht an einer definitiven Antwort auf die ethischen Bedenken. Aber er geht am Ende unfreiwillig suggestiv vor, indem die – ohne Frage – positiven Reaktionen der Patienten den Kurzschluss anbieten, der Zweck heilige die Mittel. Gerade das macht eine vertiefte ethische Diskussion umso nötiger und schneidet sie zugleich beinah ab. Wer diesen Kurzschluss trotz ergreifender Bilder abwehrt, dem bietet dieser gelungene Film einen anregenden Einstieg ins Thema.

Info & Weblinks

Annette Wagner (D 2011): Roboter zum Kuscheln. Heilsam für Demenzkranke? filmtank GmbH Berlin. Buch: Annette Wagner. Kamera: Matthias Kind. Schnitt: Torsten Truscheit. Musik: Nils Kacirek. Ton: Ruth Reeh-Georgi. Produktionsassistenz: Nora Ambun-Suri. Produzenzin: Saskia Kress. Redaktion ZDF/arte: Susanne Mertens. Gefördert mit Mitteln der nordmedia in Niedersachsen und Bremen.

Fotos: Matthias Kind