Hat Martha Mühlstein den Verstand verloren? Vor den Augen der alten Dame verwandelt sich ein Gemälde, Dinge verschwinden und tauchen anderswo wieder auf. In der 171. Folge "Das lebende Gemälde" nehmen sich die Helden unserer Kindheit den geistigen Verfall zur Brust.
Wer hört denn so etwas?
Gut, oute ich mich heute als TKKG-Fan. Waren mir die Drei ??? immer eine Spur zu schlau, glänzt TKKG stets mit geschliffenen Sprüchen, griffigen Feindbildern und im Konfliktfall prügelt der Bandenchef hier noch selbst. Auch heute noch die perfekte Unterhaltung beim Hemdenbügeln, wenn man zum x-ten Mal die Goethe-Hörbuchgesamtausgabe durch hat und, hachja, einfach mal was anderes braucht.
Aber wie sich die Zeiten doch ändern: Ermittelten unsere Freunde Tarzan, Karl, Klößchen und Gabi früher noch gegen zwielichtige Randgruppen-Figuren wie Penner, Punker, Proleten, haben nun auch die „tollen Vier“ die Seniorenresidenz als neues Betätigungsfeld entdeckt. Nicht dass sie auch schon früher manch rechtschaffener alten Dame beigestanden hätten, jedoch hat die Folge 171 in der Auseinandersetzung mit dieser Klientel eine neue Qualität erreicht.
Mystery im Altenheim
Zur Handlung nur so viel: Ein konfuser Hilferuf lockt die Nachwuchsermittler in die Seniorenresidenz "Abendruh". Dort treffen sie auf die die verzweifelte Bewohnerin Martha Mühlstein. Sie glaubt, das Bild an der Wand sei verflucht. Es zeigt seit jeher einen perfide grinsenden Troll, der inmitten einer kargen Berglandschaft auf einem kleinen Felsen thront. Seine Handflächen sind wie zum Beten aneinander gelegt. Zumindest waren sie das bis zu jenem denkwürdigen Abend, an dem Martha die Existenz Gottes infrage gestellt und ihr allabendliches Gebet aufgegeben hat. Am nächsten Morgen sind die Hände des Trolls mit einem Mal ineinander gefaltet, nur um im nächsten Augenblick wieder die ursprüngliche Haltung eingenommen zu haben. Lebt das Bild? Ihre Mitbewohnerin Elisabeth Jahling, die Martha seit Kindheitstagen kennt, glaubt nicht daran, sondern teilt die Diagnose der grimmigen Heimleiterin Frau Dahlie: Altersdemenz. Die baldige Abschiebung in ein Pflegeheim droht. Während "Tante Martha" immer mehr an ihrem Verstand zweifelt und sich darüber ängstigt, gehen TKKG der Sache auf den Grund. Doch genug, mehr sei an dieser Stelle nicht verraten.
Erlebe die Angst vorm Kontrollverlust
Warum eine TKKG-Besprechung bei EbeDe.net? Zugegeben nimmt die Darstellung der Demenzerkrankung nur wenig Raum ein, von ihrem tragischen Verlauf und ihrer Bedeutung ganz zu schweigen. Auch lassen sich keine Ergotherapeuten oder Alltagsbegleiter blicken. Und, nein, TKKG leistet hier keine profunde Aufklärungsarbeit. Doch kommen eine Reihe zentraler Probleme des Alterns zur Sprache: letzte Fragen wie nach der Existenz Gottes oder nach Schuld und Sühne, der Einbruch diffuser Angst, der Verlust des Selbstvertrauens und der Selbstbestimmung, die Gängelung durch eine alles regulierende Heimleiterin. Freilich bleibt vieles an der Oberfläche oder wird, wie die Figur der Heimleiterin, übertrieben dargestellt - doch verdichtet sich darüber die Atmosphäre der totalen Institution, wie sie in Altenheimen herrschen kann. Hinzu treten klassische Krimi- und sogar Mystery-Elemente: Lauschen an verschlossenen Türen, heimliche Blicke durch Schlüssellöcher, dunkle Geheimnisse aus längst vergangenen Tagen, unerklärliche Vorgänge.
Alzheimer goes Pop
Bemerkenswert ist nicht, wie Altern und Demenz hier dargestellt werden, sondern dass das geschieht - in einer Hörspielserie für Jugendliche. Was sagt uns das? Alzheimer ist mitten in der Popkultur angekommen! Und das ist gut so. Alzheimer wird nicht mehr in kritische Dokus verbannt, die arte kurz vor Mitternacht pflichtschuldig ausstrahlt, oder in tränenreiche Kinofilme, vor denen Freunde der unbeschwerten Unterhaltung spontan Reißaus nehmen. Entkommen ist Alzheimer also seiner Reduktion aufs eigene Genre. Stattdessen darf die Krankheit überall und neben allem anderen im medial dargestellten Alltag auftauchen, ohne alleinbeherrschendes Thema zu sein.
TKKG stehen uns bei
Wer hört heute TKKG? Kinder und Jugendliche oder nicht vielmehr Mittdreißiger, die ihren frühen Helden die Treue halten? Für wen eignet sich diese Folge besonders? Den jüngsten Fans bringt sie vielleicht erstmalig das Phänomen Alzheimer nah, jedoch mit der altersgerecht beschwichtigenden Distanz zu den leidvollen Folgen dieser Erkrankung. So haben die Kids aber wenigstens einmal davon gehört und finden vielleicht im Ernstfall leichter einen Zugang zu ihren Angehörigen. Wir älteren Semester haben vielleicht schon Eltern, die von der Krankheit betroffen sind. Zum Glück halten uns auch dann die Helden unserer Kindheit die Treue.
Heikedine Körting (D 2010): TKKG. Das lebende Gemälde. Sony Music Entertainment Germany GmbH, München. Buch: André Minninger. Redaktion und Geräusche: Wanda Osten. Effekte: André Minninger. Produktion: Heikedine Körting. Sprecher: Wolfgang Kaven (Erzähler), Sascha Draeger (Tim), Niki Nowotny (Karl), Manou Lubowski (Klößchen), Rhea Harder (Gaby), Ursula Heyer (Edith Dahlie), Luise Lunow (Martha Mühlstein), Gisela Fritsch (Elisabeth Jahling), Rolf E. Schenker (Max Schitteck), Florentine Draeger (Martha als Kind), Lea Sprick (Elisabeth als Kind), Oskar (der schwarz-weiße Cockerspaniel).