Schon seit Jahrhunderten weiß man von der wohltuenden Wirkung von Tieren auf Menschen. Nun erst ist es so weit: Deutschlands erster Alzheimer-Hund ist im Einsatz.

In Belgien wurden bereits im 8. Jahrhundert Tiere für therapeutische Zwecke eingesetzt. In England hatten im 18. Jahrhundert Patienten in Einrichtungen für geistig Behinderte die Aufgabe, Kleintiere zu versorgen. Erst Anfang des 20. Jahrhunderts nahm in Deutschland der therapeutische Einsatz von Tieren zu, geriet jedoch in den darauf folgenden Jahren mehr oder weniger in Vergessenheit. Erst in den 60er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts beschäftigte sich die Bevölkerung erneut mit der heilsamen Wirkung von Tieren auf erkrankte, betagte und einsame Menschen. Erst Jahrzente später ist Deutschlands erster Alzheimer-Hund im Einsatz.

Tiere und ihre Wirkung auf Menschen

"Gib dem Menschen einen Hund, und seine Seele wird gesund" (Hildegard von Bingen)

Physiologische Wirkungen

  • Valentin mit BewohnerinStabilisierung des Herz-Kreislauf-Systems
  • Entspannung der Muskulatur
  • Verringerung des Schmerzempfindens durch Freisetzung von Endorphinen
  • Förderung der Motorik, Koordination und sensomotorischen Wahrnehmung
  • Stressabbau durch verminderte Ausschüttung des Stresshormons Kortisol
  • Verbesserung des Körpergefühls und der allgemeinen Befindlichkeit durch Aktivität und Bewegung in der Natur

Mentale und psychologische Wirkungen

  • Valentin kratzt an einer TürFörderung des emotionalen Wohlbefindens, des Selbstwertgefühls und des Selbstbewusstseins
  • Reduzierung von Stress
  • Beruhigung und Entspannung
  • Sinn und Halt im Leben
  • Unterstützung in Krisensituationen

Soziale Wirkungen

  • Tiere wirken als sozialer Katalysator und Eisbrecher
  • Erleichterung des Kontaktes mit der Umwelt
  • Entrinnung aus Einsamkeit und Isolation

Hunde in der Arbeit mit Demenzerkrankten

Auf die Frage, warum gerade Hunde bei dieser Klientel eingesetzt werden sollen, gibt es mehrere Antworten: Ein Hund reflektiert nicht und urteilt nicht. Er hadert nicht mit den Schwächen seines Gegenübers. Es stört ihn nicht, wenn eine Person immer wieder dieselben Dinge erzählt, wenn Worte unverständlich sind oder nur noch wenig Sinn ergeben. Für einen Hund ist sein Gegenüber vollkommen. Die Zuneigung, die er den Menschen entgegenbringt, ist unvoreingenommen, ehrlich und bedingungslos. Hunde äußern zudem ihre Zuneigung ganz direkt - durch Schwanzwedeln, Anstupsen mit der Schnauze oder Anschmiegen. Mit diesen Eigenschaften erfüllt ein Hund die ganz ursprüngliche Sehnsucht nach Nähe, Wärme, Trost, Zärtlichkeit, Bestätigung und Anerkennung.

Wenn sich demenziell erkrankte Menschen in ihre eigenen Welten zurückziehen, zu denen Pflegekräfte und Angehörige kaum noch Zugang finden, können Tiere Vermittler sein. Sie reagieren auf Berührungen, Gesten, Augenkontakt sowie andere nonverbale Signale und erfassen Stimmungen und Gefühle intuitiv. Mensch und Tier verständigen sich auf einer tiefen emotionalen Ebene, die auch bei Demenzerkrankten weiter intakt ist.

Valentin, Deutschlands erster Alzheimer-Hund, wurde speziell für die Bedürfnisse demenziell erkrankter Menschen ausgebildet. Er öffnet Türen, betätigt Lichtschalter, hebt heruntergefallene Gegenstände auf, bringt den Bewohnern die Hausschuhe, die Zeitung oder das Brillenetui und kann im Notfall sogar Hilfe holen. Insbesondere aber schafft er das, wozu Pfleger oder Angehörige oftmals nicht mehr in der Lage sind: Er holt die Menschen mit Hilfe seiner strapazierfähigen Geduld und seinem Sanftmut wieder ins Leben zurück. Selbst wenn ein Demenzerkrankter um sich schlägt, schreit und eigentlich nur mit Medikamenten zu beruhigen wäre, zeigt sich die beruhigende Wirkung der Anwesenheit Valentins.

Ausbildung zum Alzheimer-Hund

In Deutschland sind Begriffe wie "Therapiehund", "Begleithund" oder "Servicehund" nicht geschützt. Es fehlt an Ausbildungsrichtlinien, Organisationsstrukturen und Qualitätsstandards. Deshalb können Interessierte weder leicht eine gute Ausbildung finden, noch einen Alzheimerhund erwerben. Valentin wurde von Spezialisten des gemeinnützigen Vereins Vita Assistenzhunde ausgebildet. Die Ausbilder schulen die Retriever beispielsweise auch für die Begleitung behinderter Kinder und Erwachsener. Alle Vita-Welpen stammen aus bestimmten Zuchtlinien um sicherzustellen, dass sie über die geeigneten und notwendigen Anlagen verfügen. Valentin arbeitet derzeit in einem Seniorendomizil und wurde innerhalb von zwei Jahren für 25.000 Euro ausgebildet.

Auswahl geeigneter Hunde

Experten zufolge eignen sich besonders Labrador- und Golden Retriever für diese spezielle Ausbildung und die künftigen Aufgaben als Alzheimer- oder Therapie-Hund. Sie besitzen die erforderliche hohe Anpassungsfähigkeit, ein sanftes und freundliches Wesen, haben Freude am Arbeiten und das Bedürfnis, dem Menschen zu "gefallen". Zusätzlich haben sie die Veranlagung, Gegenstände zu apportieren, und für viele Menschen ein sehr anziehendes wie auch ansprechendes Äußeres.

Soll so ein Hundeleben aussehen?

Eine mögliche Kritik am therapeutischen Einsatz der Vierbeiner ist die Sorge, dass der Therapie-Hund durch seinen straffen Arbeitsplan kein artgerechtes Leben führen kann. Der Mensch benutzt ihn nur als Hilfsmittel, er muss lediglich funktionieren. Bei professionell und liebevoll ausgebildeten Hunden zeigt sich jedoch eine nicht selbstverständliche Einheit von Hund und Mensch: Betrachtet man die Teams, begegnen einem ausgeglichene Hunde, die ihre Bezugspersonen rutenwedelnd und erwartungsvoll anschauen, als würden sie ungeduldig auf eine neue Aufgabe warten. Die lange und intensive Ausbildung wie auch die Zusammenarbeit führen zu einer sehr engen, positiven und vertrauensvollen Bindung zwischen Mensch und Hund. Beide sind ein Teil eines völlig aufeinander angewiesenen Teams.

Bei Valentin ist diese Bezugsperson eine Altenheim-Mitarbeiterin, die das Tier abends mit nach Hause nimmt. Wenn beide Feierabend haben, muss Valentin nicht mehr seine "Dienstkluft" tragen: eine Art blaues Hemd, das ihn als Alzheimer-Hund kennzeichnet und ihm selbst signalisiert, dass er im Dienst ist. Und dann darf auch er wie jeder andere Hund laufen, spielen, schwimmen, herumtollen und einfach nur Hund sein.

(Quellen: Hamburger Abendblatt, "Valentin": Der Alzheimer-Hund, Allgemeine Zeitung, Hamburger Morgenpost)