Eine Frau spaziert mit Seniorin durch Garten aboutpixel.de © Uwe DreßlerSeitdem Alltagsbegleiter Einzug in deutsche Altenheime gehalten haben, plagen manch Ergotherapeuten Selbstzweifel und Verdrängungsängste. Abseits dieser emotionalen Debatte hat Michaela Naß die Berufsbilder in ihrer Hausarbeit systematisch verglichen. Wir haben der Bachelor-Studentin vier Fragen gestellt.

Vom "Verdrängen" und "Ersetzen" kann nicht die Rede sein

EbeDe.net: Was unterscheidet im Kern Alltagsbegleiter von Ergotherapeuten in der Geriatrie?

Michaela Naß: Beim ersten Hinsehen verfolgen Alltagsbegleiter und Ergotherapeuten in einem Pflegeheim dasselbe Ziel: das Wohlbefinden, den physischen und psychischen Zustand des Bewohners positiv zu beeinflussen. Die berufliche Praxis beider Berufsbilder ist jedoch in Betreuungsarbeit und evidenz-basierte, ergotherapeutische Behandlungsmaßnahmen zu unterscheiden.

 

Über Michaela Naß

Michaela Nass

Michaela Naß hat 2009 ihre Ausbildung zur Ergotherapeutin absolviert und ist momentan in einem Altenpflegeheim in Hannover tätig. Nebenberuflich belegt sie einen Bachelorstudiengang im Bereich der Medizinalberufe. Durch Fortbildungen hat sie "Basale Stimulation" als einen Schwerpunkt gewählt.

EbeDe.net: Ergotherapeuten steht theoretisch ein viel breiteres Aufgabenspektrum in der Geriatrie offen als Alltagsbegleitern. Das zeigt Deine Übersicht (siehe unten). Nutzen Einrichtungen in der Regel diese Vielseitigkeit? Oder übernehmen in der Realität auch Ergotherapeuten mehrheitlich Aktivierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen?

Michaela Naß: Gewöhnlich legt die Heimleitung die genaue Stellenbeschreibung des Ergotherapeuten fest. Daher kann das Aufgabenspektrum je nach Einrichtung ganz unterschiedlich ausfallen. Im Regelfall übernehmen Ergotherapeuten auch personal- und einrichtungsbezogene Tätigkeiten wie z. B. die Öffentlichkeitsarbeit. Betreuung und die Durchführung therapeutischer Maßnahmen dominieren aber meist den ergotherapeutischen Berufsalltag.

EbeDe.net: Was würdest Du Ergotherapie-Schülern an Empfehlungen mit auf den Weg geben, die sich für den Bereich Geriatrie interessieren?

Michaela Naß: Wer vorhat, später in der Geriatrie zu arbeiten, sollte hier unbedingt ein Praktikum absolvieren. Dazu bietet sich etwa das psycho-soziale Praktikum innerhalb der Ergotherapie-Ausbildung an. Nur so können Schüler sicherstellen, dass ihnen dieses Arbeitsfeld wirklich zusagt. Denn die Arbeit in einem Pflegeheim besteht, im Gegensatz zum vorherrschenden Vorurteil, nicht nur aus gemeinsamem Musizieren oder Basteln.

Berufsanfänger sind oft mit der alltäglichen Konfrontation des Sterbens oder den ganz individuellen Schicksalsschlägen von Bewohnern überfordert. Zudem gehen die Diagnosen weit über die gängigsten Demenzformen hinaus. Daher sind regelmäßige bereichsspezifische Fortbildungen sowie das Einholen von aktuellen, wissenschaftlichen Erkenntnissen unerlässlich. Das notwendige Fachwissen in der Medizin, Pharmazie und in therapeutischen Behandlungsverfahren unterscheidet auch einen Ergotherapeuten von einem Alltagsbegleiter.

EbeDe.net: Werden zusätzliche Betreuungsleistungen tatsächlich die Ergotherapie verdrängen? Oder kannst Du Dir eine interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ergotherapeuten und Alltagsbegleitern vorstellen, die alle zufriedenstellt - selbst die nüchtern kalkulierenden Heimleitungen?

Michaela Naß: Laut dem Statistischen Bundesamt haben bereits 2009, also knapp ein Jahr nach Inkrafttreten des betreffenden Gesetzes, fast 16.300 Alltagsbegleiter in deutschen Pflegeheimen gearbeitet - und lediglich rund 7.400 Ergotherapeuten. Allein dieses Mengenverhältnis bedeutet jedoch nicht, dass die Ergotherapie durch das relativ junge Berufsbild des Alltagsbegleiters verdrängt wird. Die Ursache ist lediglich die Finanzierung durch die Pflegekassen und der vorgegebene Stellenschlüssel des Alltagsbegleiters (1:25). Darüber hinaus gibt es Pflegeheime die sogar Alltagsbegleiterstellen mit Ergotherapeuten besetzen.

Solange der Ergotherapeut sich und seine Arbeit abgrenzt sowie die Unterschiede zum Alltagsbegleiter gerade gegenüber Vorgesetzten veranschaulicht, kann vom "Verdrängen" und "Ersetzen" nicht die Rede sein. In den entsprechenden Gesetzestexten wird vom Alltagsbegleiter nicht umsonst als „zusätzliche Betreuungskraft“ gesprochen. Sind die Aufgaben beider Berufsbilder in einer Einrichtung klar abgesteckt, kann ein tolles, interdisziplinäres Team entstehen, von dessen Zusammenarbeit Bewohner mit erhöhtem Betreuungsbedarf profitieren.

Übersicht: Tätigkeitsfelder der zusätzlichen Betreuungskraft und des Ergotherapeuten

Zusätzliche Betreuungskraft Ergotherapeut
soziale Betreuung soziale Betreuung Ergotherapie
  • Aktivierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen    
  • Aktivierungs- und Beschäftigungsmaßnahmen
  • Einzugsbegleitung
  • Krisenintervention
  • Angehörigenberatung
  • Sterbebegleitung
  • Biografiearbeit
  • usw.
  • Befunderhebung
  • therapeutische Diagnose
  • Zielsetzung
  • therapeutische
  • Behandlungsverfahren
  • Hilfsmittelberatung
  • Evaluation
  • usw.
personalbezogene Aufgaben einrichtungbsezogene
Aufgaben
  • Anleiten nachgeordneter Mitarbeiter
  • Dienstpläne
  • Urlaubsplanung
  • usw.
  • Umfeldgestaltung
  • Gemeinwesenarbeit
  • Öffentlichkeitsarbeit
  • usw.
 interdisziplinäre Tätigkeit
 
  • Rücksprachen mit Abteilungsleitern
  • Fallbesprechungen
  • Teambesprechungen
 Dokumentation
 
  • Tagesnachweise
  
  • Assessments, Befundungsbögen
  • Einzugsbegleitungen
  • Behandlungsplanung und Therapieverläufe
  • Monatsrückblicke
  • usw.